Ein Balanceakt zwischen Gesundheit und Wirtschaft
(hoga-presse) Die Diskussion über die Reduktion von Zucker, Fett und Salz in Lebensmitteln hat in den vergangenen Jahren an Intensität gewonnen. Dabei stoßen gesundheitspolitische Ziele und wirtschaftliche Realitäten oft aufeinander. Ein aktueller Stakeholderprozess des Max Rubner-Instituts (MRI) zu diesem Thema hat nun scharfe Kritik des Lebensmittelverbands Deutschland ausgelöst. Welche Herausforderungen birgt die Reformulierung von Lebensmitteln, und warum fordert die Branche einen anderen Ansatz? Ein Blick hinter die Kulissen eines hochkomplexen Prozesses.
Kritik an fehlender Einbindung und mangelnder Transparenz
Der Lebensmittelverband Deutschland wirft dem Max Rubner-Institut eine unzureichende Einbindung der Wirtschaft vor. Laut Hauptgeschäftsführer Christoph Minhoff war das technologische und wissenschaftliche Fachwissen der Branche lediglich bis zu einem gewissen Punkt gefragt. In den entscheidenden Phasen sei die Branche jedoch ausgeschlossen worden. Minhoff erklärt: „Die formulierten Maßnahmen spiegeln keineswegs einen Konsens wider. Unsere Einwände zu gesundheitspolitischen Fragestellungen fanden keinerlei Berücksichtigung.“
Besonders kritisiert wird die einseitige Ausrichtung des Prozesses. Der Lebensmittelverband sieht darin eine Bedrohung für die Marktwirtschaft und die unternehmerische Freiheit. „Nicht der Staat füllt die Kühlschränke, sondern die Unternehmen entlang der Wertschöpfungskette. Vorschläge wie steuerliche Eingriffe und strikte Vorgaben ignorieren die realen Herausforderungen kleiner und mittelständischer Unternehmen“, betont Minhoff. Die Branche fordert daher eine stärkere Einbindung aller relevanten Akteure in einem transparenten und fairen Dialog.
Freiwillige Ansätze statt überregulierter Maßnahmen
Ein zentraler Kritikpunkt der Lebensmittelwirtschaft ist die einseitige Fokussierung auf regulatorische Eingriffe. Stattdessen verweist die Branche auf freiwillige Initiativen wie die Nationale Reduktions- und Innovationsstrategie (NRI), die seit 2018 deutliche Fortschritte erzielt habe. Diese Strategie zeige, dass die Industrie ihre Verantwortung ernst nehme und eigenverantwortlich handeln könne.
Laut dem Lebensmittelverband greifen gesetzliche Vorgaben jedoch zu kurz. Eine isolierte Betrachtung von Zucker, Fett oder Salz lasse außer Acht, dass Geschmack, Textur und Haltbarkeit von Lebensmitteln durch diese Bestandteile beeinflusst werden. „Die gleichzeitige Reduktion mehrerer Inhaltsstoffe ist technologisch komplex und führt häufig zu veränderten Geschmackserlebnissen, die von den Verbrauchern nicht akzeptiert werden“, so die Stellungnahme.
Die Bedeutung wissenschaftlicher Fundierung
Ein weiterer wesentlicher Punkt ist die Forderung nach wissenschaftlich fundierten Maßnahmen. Der Lebensmittelverband bemängelt, dass belastbare Daten für viele der vorgeschlagenen Public-Health-Maßnahmen fehlen. Beispielsweise gebe es keine ausreichende Evidenz dafür, dass strenge Höchstmengen für Süßstoffe den Süßgeschmack dauerhaft reduzieren oder die Präferenz für weniger süße Produkte stärken. Ohne solide wissenschaftliche Grundlagen könnten solche Empfehlungen willkürlich wirken und eher Schaden anrichten.
Ein großes Problem sieht die Branche zudem in der unklaren Datengrundlage. Reduktionsziele sollen laut dem Ergebnispapier des MRI auf Basis von Perzentilen abgeleitet werden, doch Details zu Basisjahr, Zieljahr oder den Kriterien für traditionelle Rezepturen fehlen. Der Verband kritisiert, dass ohne eine abgestimmte Datenbasis keine tragfähigen Entscheidungen getroffen werden können.
Technologische und wirtschaftliche Herausforderungen
Die Reformulierung von Lebensmitteln ist ein technisch anspruchsvoller Prozess, der viele Unternehmen vor große Herausforderungen stellt. Besonders kleinere und mittelständische Betriebe könnten durch zu strikte Vorgaben in ihrer Existenz bedroht werden. Wenn Produkte nicht mehr den Erwartungen der Verbraucher entsprechen, drohen Absatzverluste. Im schlimmsten Fall könnten Importprodukte traditionelle heimische Waren verdrängen, was nicht nur wirtschaftliche, sondern auch kulturelle Konsequenzen hätte.
Darüber hinaus sind Zucker, Fett und Salz nicht nur Geschmacksträger, sondern erfüllen auch wichtige technologische Funktionen in Lebensmitteln. Eine zu starke Reduktion könnte die Haltbarkeit oder Konsistenz von Produkten beeinträchtigen. Diese Faktoren müssen laut dem Lebensmittelverband in jedem Fall berücksichtigt werden.
Praxisnahe Lösungen für nachhaltige Ergebnisse
Der Lebensmittelverband betont, dass praxisnahe Lösungen Vorrang vor überregulierten Eingriffen haben sollten. Die bisherigen Erfolge der NRI zeigten, dass freiwillige Ansätze funktionieren. Statt auf Zwang und Strafen zu setzen, sollte die Politik erfolgreiche Kooperationen zwischen Industrie, Handel und Verbraucherorganisationen ausbauen. Gleichzeitig sei es entscheidend, die spezifischen Bedürfnisse kleiner und mittelständischer Unternehmen zu berücksichtigen.
Ein weiterer Aspekt ist die Notwendigkeit eines realistischen Zeitrahmens. Der Lebensmittelverband kritisiert, dass die Politik oft unter Zeitdruck handle, was langfristige, fundierte Lösungen erschwere. Insbesondere die Entwicklung eines „Goldstandards“ zur Ableitung von Reduktionszielen erfordere umfangreiche Daten und methodische Grundlagen, die in einem Legislaturzeitraum kaum zu erarbeiten seien.
Appell für echten Dialog und Planungssicherheit
Die Forderung nach einem transparenten und fairen Dialog zieht sich wie ein roter Faden durch die Kritik des Lebensmittelverbands. Die Branche appelliert an die Politik, alle relevanten Akteure gleichberechtigt einzubinden und Planungssicherheit zu schaffen. Halbherzige oder voreilige Entscheidungen würden nicht nur der Wirtschaft schaden, sondern auch die angestrebten gesundheitspolitischen Ziele verfehlen.
Christoph Minhoff betont: „Die Politik sollte keine halbfertigen Ergebnisse vorlegen, sondern in einem ergebnisoffenen Prozess mit der Wirtschaft zusammenarbeiten. Nur so lassen sich tragfähige Lösungen finden, die sowohl gesundheitspolitisch sinnvoll als auch wirtschaftlich umsetzbar sind.“
Fazit: Zusammenarbeit statt Konfrontation
Die Reduktion von Zucker, Fett und Salz in Lebensmitteln ist ein wichtiges Ziel, das jedoch nur durch eine enge Zusammenarbeit zwischen Politik, Wirtschaft und Wissenschaft erreicht werden kann. Freiwillige Ansätze, wissenschaftliche Fundierung und praxisnahe Lösungen sollten dabei im Vordergrund stehen. Einseitige Vorgaben und mangelnde Transparenz hingegen gefährden nicht nur die wirtschaftliche Stabilität, sondern auch die Wahlfreiheit der Verbraucher.
Um nachhaltige Ergebnisse zu erzielen, ist ein echter Dialog zwischen allen Beteiligten unverzichtbar. Nur durch gemeinsame Anstrengungen lassen sich die Herausforderungen bewältigen und langfristige Verbesserungen für die Gesundheit der Bevölkerung erreichen.
Quelle: Lebensmittelverband Deutschland e. V., 29.11.2024
Bild: pixabay